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Unwirksamkeit altersdiskriminierender Kündigungen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.7.2015 - 6 AZR 457/14

Das 2006 eingeführte „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, kurz AGG, schützt die Arbeitnehmer vor Diskriminierung durch den Arbeitgeber.

Neben dem Schutz vor religions- oder geschlechtsbedingter Diskriminierung (§ 1 AGG) ist der Arbeitnehmer auch vor altersdiskriminierenden Maßnahmen des Arbeitgebers geschützt.

Altersdiskriminierend sind dabei solche Maßnahmen, die einen Arbeitnehmer wegen seines Alters gegenüber anderen Arbeitnehmer benachteiligen.

Dies kann gleichermaßen Junge wie Alte betreffen.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG ist das AGG aber auf Kündigungen nicht anzuwenden.

Ist damit der Arbeitnehmer nun vor einer diskriminierenden Kündigung gar nicht mehr geschützt? Kann der Arbeitgeber deshalb beispielsweise einen Arbeitnehmer kündigen, weil er ihn schlicht für zu alt hält?

Nein, nach Ansicht des BAG.

Wenn das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist, d.h. wenn regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind und der zu kündigende Arbeitnehmer länger als 6 Monte im Betrieb beschäftigt ist, ist das AGG ins Kündigungsschutzgesetz mit "hineinzulesen" (BAG v. 06.11.2008, 2 AZR 523/07).

Nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG müssen Kündigungen nämlich sozial gerechtfertigt sein.

In diesen Begriff der sozialen Rechtfertigung wird dann das AGG mit einbezogen, sodass Schutz vor Diskriminierungen jedenfalls auch im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gegeben ist.

Gleiches gilt für den Bereich der außerordentlichen, d.h. fristlosen, Kündigung nach § 626 BGB. Für eine solche Kündigung ist stets ein wichtiger Grund erforderlich.

Auch hier wird über den wichtigen Grund das AGG mit einbezogen.

Eine außerordentliche Kündigung ist daher nicht möglich, wenn sie den Arbeitnehmer beispielsweise unrechtmäßig wegen seines Alters benachteiligt.

Damit ist aber noch nichts über die Fälle gesagt, in denen ein Arbeitnehmer ordentlich (d.h. nicht fristlos nach § 626 BGB) gekündigt wird und in dem Betrieb der 10 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt oder in dem der Arbeitnehmer noch nicht länger als 6 Monate beschäftigt ist.

Der klare Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG verbietet auch hier an sich einen Schutz durch das AGG.

Das BAG hat jedoch entschieden, dass in diesen Fällen das AGG dennoch direkt anzuwenden ist. Es stellt dann ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB dar. Eine ordentliche Kündigung die gegen die Vorschriften des AGG verstößt ist damit nach § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam.

Der Grund warum das AGG hier direkt anwendbar sein soll und nicht in einen Begriff im Gesetz hineingelesen werden muss ist folgender:

Der Gesetzgeber wollte in § 2 Abs. 4 AGG den ganz speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften, wie dem KSchG und der außerordentlichen Kündigung, einen Vorrang in der Anwendung zukommen lassen.

Neben diesen Vorschriften sollte durch das AGG nicht noch ein zweiter Kündigungsschutz treten. Bei den vorgenannten ordentlichen Kündigungen besteht ein solches in sich geschlossenes System des Kündigungsschutzes nicht, sie bedürfen keiner sozialen Rechtfertigung oder eines wichtigen Grundes, sondern dürfen nur nicht völlig willkürlich sein.

Die Gefahr zweier nebeneinander laufenden Schutzsysteme besteht daher nicht, sodass das AGG unmittelbar, jedoch entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG, angewendet werden kann

(BAG v. 19.12.2013, 6 AZR 190/12).

So hat das BAG dann auch in einem Fall entschieden, in dem der Arbeitgeber, eine urologische Praxis mit lediglich 5 Arbeitnehmern, einer angestellten Arbeitnehmerin unter anderem mit der Begründung gekündigt hatte, sie wäre pensionsberechtigt (d.h. letztendlich aufgrund des Alters!).

Das BAG entschied, dass die Kündigung wegen Altersdiskriminierung nach § 134 BGB i.V.m § 7 Abs. 1 AGG unwirksam sei.

Das BAG hat folglich auch hier das AGG direkt auf die ordentliche Kündigung angewandt.

Die Anknüpfung der Kündigung an die Pensionsberechtigung der Arbeitnehmerin benachteilige die Arbeitnehmerin wegen ihres Alters, weil der Bezug von Altersrente direkt und untrennbar mit dem Alter verbunden sei.

Zwar besteht nach § 10 AGG eine Rechtfertigungsmöglichkeit, sodass ein Verstoß gegen das AGG in diesen Fällen nicht vorliegt, jedoch war eine solche nicht gegeben, weil dafür erforderlich wäre das das Ziel das mit der Kündigung erreicht werden soll, im Allgemeininteresse steht.

Der Arbeitgeber hatte nämlich als Grund für die Kündigung angeben, dass die gekündigte Arbeitnehmerin im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern weniger qualifiziert sei. Damit diente die Kündigung laut BAG aber nicht dem Allgemeininteresse, sondern nur dem eigenen Interesse möglichst hoch qualifiziertes Personal zu beschäftigen.

Fazit:

Zusammenfassend gilt also, dass sich der Schutz der Arbeitnehmer gegen benachteiligende ordentliche Kündigungen nach dem AGG richtet.

Der Arbeitgeber muss, wie der obige Fall zeigt, stets genau aufpassen, dass er sich auch bei Kündigungen im Zulässigkeitsrahmen des AGG bewegt.

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